Kritik an Dunnett


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Abgeschickt von Kathrin am 28 Maerz, 2005 um 12:41:09:

Hallo Leute!

Da wir ja ein Diskussions- und kein DD-Anbetungsforum sind, möchte ich hier mal einen Beitrag zu DD einstellen, den mir meine Cousine vor einiger Zeit nach einem (erfolglosen) Toasterversuch per Mail hat zukommen lassen.

Viel Spaß beim Lesen! ;-)

Kathrin


"Hi Kathrin,

da melde ich mich schon wieder, und zwar, wie versprochen, mit meiner Meinung zum Königsspiel, soweit ich es jetzt mal gelesen habe (etwa zu einem Drittel).
Ich kann nachvollziehen, daß man danach süchtig werden kann. Die Dunnett schreibt sich, ohne Zeit zu verlieren, rasant durch die Ereignisse hindurch und scheut sich dabei nicht, gleich auf den ersten Seiten ein halbes Dutzend Charaktere auftreten zu lassen, die auf dem Vorblatt alle als Hauptpersonen betitelt werden. Und sie bekommt sie alle weitgehend in den Griff. Die Hintergrundgeschichte, das alte Spiel um Maria Stuart und den schottischen Königsthron, ist hinreichend detailliert dargestellt, um realistisch zu wirken. Und der Held (da es ein Band der „Lymond Chronicles“ ist, nehme ich an, daß der Held Francis Lymond ist und nicht sein Adlatus Will Scott) erscheint als eine zureichend geheimnisvolle Figur, deren Motive und Herkunft fast völlig im Dunkeln bleiben – mithin genug Entwicklungspotential vorhanden (obwohl Lymond fast schon zuviel hinter sich hat, um noch zehn Bände Chronik durchhalten zu können – daher meine Vermutung, es könnte sich um die Lebensgeschichte von Will Scott handeln, weil der ja anfangs nicht viel älter als 16 zu sein scheint, kaum 50 Seiten später aber schon Übernahmepläne für die Räubertruppe hegt). In seiner adeligen Blondheit und seiner leichten, geschliffenen Rede ebenso wie in seiner Verachtung und Arroganz seiner Umgebung gegenüber und seiner offenbar natürlichen Autorität, seinem Charisma, erinnert Lymond mich übrigens stark an Lord Peter, den detektivischen Helden in den Geschichten von Dorothy Sayers. Kann es sein, daß die Dunnett da ein bißchen abgekupfert hat? Denn auch Lord Peters Rede hat die oben aufgezählten Eigenschaften (wenn sein Bariton auch immer ein wenig heiser klingt), auch Lord Peter hat einen fürchterlichen, lahmen, aufgeblasenen Bruder auf dem Familiensitz hocken, der nichts außer spießig ist, und ebenfalls eine abgebrühte Mutter, die bei sich für alle ihre Sprößlinge Verständnis aufbringt. –
Francis entbehrt trotz seines schmählichen Tuns nicht der Anziehungskraft. Warum nur hofft man als Leser ziemlich bald schon, daß Monsieur nicht vielleicht doch heimlich FÜR Schottland arbeiten...? Und rätselt, welche Frau er wohl schließlich abkriegen wird: die blinde Verschwörerin am Exilhof oder das irische Neuweib des Bruders?
* lach * Du siehst, die Geschichte hat mich schon ziemlich mitgenommen! Was den Inhalt anbetrifft, so hat die Dunnett vergnüglich viele Register zu ziehen in ihrer Macht, und sie schneidet sie so rasant hintereinander, daß mir nach diesem Drittelbuch Leseprobe ordentlich der Kopf brummt – selbst wenn die Autorin mir in der Chronologie zu helfen versucht, indem sie Wochentagsangaben mit Datum nennt (obwohl etwas irritierend in einem Roman, der vor vier Jahrhunderten spielt) und Rückblenden auf die große, die europäische Geschichte, dazwischenschaltet. Leider gehen diese Hilfen zwischen den vielen Einzelszenen, in denen bis zu vierzig Personen (die Teetafel bei der Baronwitwe im Prolog) gleichzeitig agieren, völlig unter. Und manchmal tauchen überraschend völlig neue Personen auf, ihre Kurzbiographie wie ein Etikett angeklebt, um dann erstmal wieder in völliger Versenkung zu verschwinden (eine häßliche Erbin, die in besagter Szene fast ertrinkt, nur um dann in einem Burgbett wieder dem Vergessen des Lesers entgegenzuschlafen). Also, bei aller Buntheit und bei allem Einfallsreichtum: manchmal überschlägt sich Mrs. Dunnett. Man muß doch auch mal an den Leser denken!
Ich weiß, daß die meisten Autoren im ersten Buch erstmal keine Meisterleistungen bringen, sie müssen sich, wie Opernsänger im ersten Akt, erstmal einsingen resp. einschreiben, bevor sie dann Ballast abwerfen, Stilblüten ausmerzen und mit der Zeit zu ihrem reifen Stil gelangen. Zumindest hoffe ich, daß es in der Scribiographie von Mrs. Dunnett genauso ist. Denn stilistisch hat die Dame viel zu wahllos in die Kruschkiste gegriffen. Warum reden schottische Edeldamen des 16. Jahrhunderts untereinander wie US-amerikanische Hausfrauen des 20. Jahrhunderts? War im Schottland des 16. Jahrhunderts schon das Leben der Lemminge naturwissenschaftlich-darwinistisch erforscht und Bildungswissen im Adelskanon?
Überhaupt: warum, wenn der Inhalt schon im 16. Jahrhundert spielt, macht sich Mrs. Dunnett nicht die Mühe, wenigstens in Anklängen auch die Sprache jener Zeit zu kopieren? Vielleicht laste ich jetzt der Autorin etwas an, was einer miesen, schlampigen Übersetzung zu verdanken ist. Ich erwähne es aber, weil es mich schrecklich stört. Wenn schon historisch, dann möchte ich bitte ein weitestgehend realistisches Bild der Zeit, und nicht ein Kuddelmuddel aus Alt und Neu – bei Dunnett schottische Geschichte im Slang der siebziger Jahre -, weil zwischendrin dem Autor die Lust an der Arbeit vergangen ist!
Aber wie gesagt – vielleicht hat sich das im Fortgang der Chronik verbessert, weil sich Mrs. Dunnett besser an ihr Sujet gewöhnt hat.
Formal muß ich der Autorin leider auch ein schlechtes Zeugnis ausstellen – wenn auch mit obgenannter Einschränkung (den man den „Erstlings-Joker“ nennen könnte). Mrs. Dunnett hat entschieden zuviel Augenmerk auf den Inhalt gehabt, so daß ihr die Form unbemerkt aus der Hand geglitten ist. Ich lese eine Geschichte, gut, eine ereignisreiche Geschichte. Aber lese ich eine gutgeschriebene Geschichte?
Nein. Ich holpere fiebrig durch einen steinigen Text, in dem mir nirgendwo eine Ruhepause geboten wird. Schon auf den ersten Seiten wird mir fies ein Bein gestellt. Glaube nicht, daß ich es nicht schätze, mit dem ersten Satz einer Geschichte in medias res geworfen zu werden! Aber es muß so geschehen, daß ich auch spätestens nach dem ersten Absatz weiß, woran ich nun bin (zumindest in klassisch erzählten Geschichten, wie diese eine ist), und mich nicht erst mühsam durch weitere zehn Seiten lesen muß, bevor mir zum ersten Mal eine umfassendere Perspektive geboten wird. Nicht alle Leser sind brave Klappentextleser! Außerdem wirkt so eine unerklärte Verwirrung am Beginn so, als ob die Autorin selber erst mit ihrer sperrigen Geschichte klarkommen und per Versuch und Irrtum im Prolog rausfinden müßte, an welchem Ende sie nun anfangen soll. Peinlich für sie und schmerzhaft für den interessierten Leser, der sich so unhöflich behandelt fühlt.
Auch im Fortgang der Geschichte ist es ziemlich mühsam, zwischen all den Lokalereignissen den eigentlichen Kriegsverlauf mitzukriegen. Es fehlt einfach die höhere Perspektive, der Feldherrnhügel für den Leser, den er immer wieder erklimmen dürfen müßte, um den Überblick über das Gewusel zu bekommen – und damit erst richtig Spaß an den kleinen Szenen dazwischen! So wirft Mrs. Dunnett einfach zu oft Perlen vor die Säue, und das ist schade, weil ihre Szenen immer sprühend lebendig, ereignisreich und bunt sind.
Und noch besser – und mit mehr Begeisterung zu lesen – wären diese ihre Szenen, wenn Mrs. Dunnett nicht einfach Satz an Satz reihen und die darin enthaltenen Bilder wie einen Comic hintereinanderkleben würde. Wenn sie sich mehr Mühe gäbe, sie miteinander zu verbinden, würde der Leser nicht mit lauter einzelnen Bildern bombardiert, sondern es würde in seinem Kopf ein Film ablaufen. Auch das wäre im übrigen für den Überblick hilfreich, weil auf diese Weise der rote Faden der Geschichte deutlich würde, der in dieser Einzelbild-Kleckserei verlorengeht. Durch Harmonisierung und Übergänge einen Film im Kopf des Lesers zu produzieren geht, meine liebe Mrs. Dunnett, NICHT auf Kosten der schnellen Handlung (die ohnedies im 16. Jahrhundert nicht so schnell war, denken Sie an die Transportmittel: Füße, Pferde, Ochsenkarren (!!), dazu lauter gefangengenommene Boten mit daraus resultierender Wartezeit für Empfänger ebenso wie Absender; und die Umstände: Regen, Nacht, Matsch – alles Verlangsamungsfaktoren), sondern ist eine Handreichung für Ihre Leser, die auf diese Weise einfach mehr Spaß hätten (Einschränkung: Leser wie mich...). Lesen Sie als Muster mal die Schlachtenbeschreibungen in Tolstois Krieg und Frieden, dort können Sie lernen, wie man Einzelszenen (und massenhaft viele Hauptpersonen) zu einem großen, großartigen Ganzen zusammenschmiedet.
Kathrin, ich kritisiere mich hier wahrscheinlich um Kopf und Kragen, aber eigentlich habe ich an der Dunnett viel weniger auszusetzen, als ich anfangs befürchtet hatte. Das Königsspiel ist erstaunlich hochwertig für einen populären Historienroman! Ich habe mich wirklich darin festgelesen und bin diesem arroganten Fiesling von Helden fast sofort verfallen (nachdem ich mich durch den Prolog gequält hatte, in dem er furchtbar geschwollen und albern dahersäuselt – ein Phänomen, das er erstaunlicherweise mit dem ersten Wort im ersten Kapitel vollkommen ablegt; was mich wieder zu der Frage bringt, wann die Dunnett diesen fürchterlichen Prolog geschrieben hat). Ich mag solche distanzierten Typen. Lord Peter ist auch so einer.
Obwohl mir also der Held sympathisch ist, glaube ich allerdings nicht, daß ich über den schlechten Stil und die Vernachlässigung der Sprache auf Dauer werde hinwegsehen können. Ich bin da einfach zu unflexibel. Allenfalls könnte ich noch einen Versuch mit Dunnett in Originalsprache machen, um mich zu vergewissern, ob ich nun nur eine schlechte Übersetzung erwischt habe oder ob meine Kritik in puncto Sprache auf Dunnetts eigenes Konto geht.
Und ganz heimlich gestehe ich es Dir doch noch: wenn Francis Lymond nicht bürgerlicher (langweiliger, durchschaubarer) wird, wird es mich wurmen, wenn ich mit dem Königsspiel durch bin und nicht weiß, wie es mit diesem Mann weitergeht...Du wirst mir Inhaltsangaben der nächsten Bände schicken müssen (smile).
Hat sich eigentlich noch kein Filmverleih gefunden, der diese Chronik verfilmen will? Ein bißchen gestrafft scheint mir das die ideale Vorlage für einen richtig schönen Historienschinken zu werden!..."




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