Re: Fernsehtip


[ Antworten ] [ Dunnettie-Forum Archiv 22 ] [ Dunnettie-Forum ]

Abgeschickt von Birgit am 12 Maerz, 2005 um 13:18:40:

Antwort auf: Re: Fernsehtip von Celis am 11 Maerz, 2005 um 10:48:01:

Hallo Celis,

: Eine Bemerkung vorneweg. Die L.C. sind ein Entwicklungsroman. D.D. sagte dies ja mal sowohl für die Autorin ,als auch für ihren Helden.

Das stimmt so nicht. HN ist der klassische Bildungsroman/Entwicklungsroman. Aber für die LC liegt die Sache da etwas anders. DD hat sich dahingehend sehr klar geäußert:

"With Lymond, I wanted to show a very solitary man facing up to what was happening to him, and dealing with it, and changing under its impact. From the beginning, he appears as a courtier, a scholar, a wilful and charismatic reader of mercenaries, with formidable enemies. He is also vulnerable because of something to do with his past and his parentage, which we can only guess at, for he himself doesn't know the truth, and doesn't want to. As his power and influence increase, these secrets are explored one by one, until he has to confront them in the end. And as this happens, we begin to understand what moulded the dazzling character whom we met at the beginning."

"Nicholas had to be different. In the 15th century, you could climb out of your class if you were good at banking and merchandising and accountancy, and Nicholas as a young man does this. We met Lymond fully-fledged; we see Nicholas as young and (comparatively) inexperienced, but advancing with every adventure. There are mysteries to his life, and enemies, but the real mystery is his nature. He is both hilariously outgoing, and obsessively private. We see him acting heroically; we see him deceiving his friends. We see him risking his life for someone else, but also initiating some crazy chain of events that will as surely bring about wanton ruin or death. The character of Nicholas is what the series is all about, rather than the unfolding of secrets. The central mystery was the key to Lymond's life, but this is not true of Nicholas.

Sie hat das in mehreren Interviews in Variation wiederholt. "Nicholas to become what he was supposed to be...etc." Im Falle von Nicholas ist es ein klarer Bildungsroman. Der Held muß erst noch geformt werden, er "wächst" im Laufe der Handlung. Bei Lymond ist die Sache etwas anders. Er ist bereits erwachsen, sein Charakter geformt. Es geht darum, wie er, als der, der er bereits ist mit dem "central mystery" der Geschichte umgeht. Klar verändert er sich im Laufe der Handlung auch, wird durch den Verlauf der Dinge geformt, aber nicht im Sinne einer grundsätzlichen Entwicklung und Festigung einer unreifen Persönlichkeit. Er ist von Beginn an eine ausgereifte Persönlichkeit. Das man als Erwachsener natürlich auch noch jederzeit an Weisheit und Erfahrung gewinnen kann und auch Veränderungen durchmacht, bringt das Leben so mit sich, das allein macht noch keinen Entwicklungsroman aus.

: Der Topos der Reise, des unbehaust Seins ist für diese Art des Romans wohl typisch. Das reicht vom Gleichnis vom verlorenen Sohn bis hin zum Taugenichts.

Natürlich. Ich verstehe nur die Ausschließlichkeitslogik hier nicht. Das Geniale an DD ist ja gerade, daß ihre Bücher auf so vielen Ebenen funktionieren. Daß Anspielungen und Themen in vielen Facetten vorkommen und variiert werden.
Klar, sind DD's Bücher auch nur ihre eigene Version von Joseph Campbell's "Hero's Journey" . Das sind grundsätzliche Züge, die in jeder Geschichte drin sind. Topoi wie "Taugenichts" sind ja z.B. auch nichts anderes als eine spezifisch deutsche Umsetzung der "Hero's Journey" im 18. und 19. Jhd. Ich kann nicht nachvollziehen, wie das also gegen die Odyssee als Anspielung stehen soll. Die Odysseus ist ja in der Weltliteratur der Archetyp des rastlosen Wanderers, es ist daher nur natürlich, daß DD auch auf dieses "Kulturelle Gedächnis, dieses Kulturelle Echo" zurückgreift. Es sind grundlegende Themen, die sie da aufgreift und verarbeitet. Das Interessante daran ist ja, wie sie das tut, wie genau sie mit den Themen spielt, wie sie verarbeitet werden. Wie sie ihre eigene Geschichte damit untermalt. Die LC sind ja keinesfalls eine NACHERZÄHLUNG der Odyssee. Das war auf keinen Fall zweck meiner Übung. Es geht hier um Anspielungen, Zitate, Hinweise, "evocation", wie immer man es nennen mag. Es ist keine 1 zu 1 Umsetzung der Odyssee. Daher ist auch der jeweilige innere Beweggrund für die Handlung des Helden nicht so wesentlich. (Wobei man da natürlich auch noch argumentieren könnte, daß die Odyssee auch weit mehr als ein simpel gestrickter Abenteuerroman ist, O. seine eigenen moralischen Grundsätze hat, auch er sich, wie Lymond, vieles selbst zuzuschreiben hat. Die Hybris der Griechen vor Troja war ja z.B. der Grund für den Sturm am Beginn, der O. vom Kurs abtreibt....)

Lymond ist nicht Odysseus. Viele Dinge, die in der Odyssee vorkommen, finden keinen Wiederhall in den LC, ich habe nur diejenigen Passagen aufgegriffen, wo die Odyssee unterschwellig mitschwingt, dieses "kulturelle Echo", um mal bei diesem Begriff zu bleiben. Man darf das nicht zu wörtlich nehmen Polyphem = Gabriel etc. Nicht im wörtlichen Sinn, sondern im Übertragenen. Dann finde ich schon, daß man das so sehen kann. Ditto Güzel/Calypso.

Nur weil ich mich mit dieser Facette von den LC etwas genauer auseinandergesetzt habe, heißt das nicht, das die Odyssee jetzt das vorherrschende Thema der LC ist, oder auch nur das ausschlaggebende Motiv.
Das Geniale an DD ist ja, daß sie eine riesige Mengen von solchen Themen, Anspielungen und Unterthemen verarbeitet. Die sich auch nicht ausschließen, sondern genialerweise auf verschiedenen Ebenen funktionieren. Manchmal unabhängig voneinander, manchmal ineinandergreifend. Nur weil man etwas auf einer Ebene so interpretieren kann, heißt das ja nicht, das es deswegen auf anderen nicht funktioniert.

Es sind endlose Debatten geführt worden und Aufsätze geschrieben worden darüber, wie DD mit dem Motiv "Hero's Journey" umgeht. Das fängt mit der Einhorn-Symbolik an, wie die Legende vom Einhorn sich quer durch die LC zieht (in den LC, wohlgemerkt, in HN ist das auch ein Topos, genau wie die Odyssee übrigens). Vom "I'm a narwhal looking for my virgin" am Beginn von GoK, das den Ton vorgibt, bis zu CM, spielt das auch unterschwellig eine Rolle. Und indem man Lymond mit dem Unicorn gleichsetzt, will man ja dadurch auch nicht sagen, daß er eines ist, oder daß damit impliziert werden soll er sei die Personifikation Schottlands. Die Frage, was ist "home" für Lymond. Geography, mapmaking, journeys, destiny, astrologers... all diese verschiedenen Strömungen und Anspielung funktionieren unabhängig voneinander und greifen ineinander über. Dann die Metaphern. Das Leitmotif sunshine/brightness/warmth - darkness/ice-water für Philippa und Lymond, daß sich durch alle Bände zieht, wie DD mit "architectural space" umgeht, manchmal in Metaphern, Wortfeldern, Bildern, Zitaten, Gedichten, Umschreibungen, das hat zeitweise sogar schon ikonographische Züge, wie sie mit dieser Bildsprache umgeht. Was wiederum auch eines der Characteristika der Homerischen Sprache ist. So schließt sich der Kreis <g>. Oder das Theatermotiv, die Maskenspiele. "Lucent and delicate, drama entered, mincing like a cat..." Auch dies schon alles in GoK festgelegt und dann konsequent in Anspielungen weitergeführt. Das Dionysisch-Apollinische in Lymond. QP ist trotz aller Anspielungen ja auch nicht nur eine Studie des Karnevals, der Bacchanalien, des Dionysos-Kults. Und trotzdem läuft es als Unterströmung mit. Ganz zu schweigen von den Musikalischen Anspielungen, generell, wie mit dem Thema Musik umgegangen wird.

In den großartigsten Szenen greifen all diese Themen ineinander. Oft stecken viele davon in einem einzigen Satz.

"T'erratic starres, hearkening harmony" (GoK) Astrologie, Musik, das rastlose Umherirren (planetaomai- griech. Umherirren - daher die Planeten!) z.B.

Kerstin hat dazu einen hervorragenden Artikel geschrieben, sie hat mir die Erlaubnis gegeben, ihn wiederzugeben. In einer gesonderten Post. Ich werd auch noch etwas mehr zu meinen Metaphern schreiben, um das etwas klarer zu machen.

Die Hall of Revels Szene ist in dieser Hinsicht ein absoluter Klassiker. Alle der großen Themen werden hier eingewoben. Das Theatermotiv, die Maskerade, das dionyisisch-apollinische, das sunshine/ice Leitmotiv, Musik, der metaphorische Umgang mit Räumen, Journeys, Astrologie - alles da.

: Der Held wird aus seinem gewohnten Umfeld herausgeholt, oder verläßt es freiwillig, muß Familie, Freunde, Heimat etc. verlassen.Lebenserfahrung (Selbst-) Erkenntnis und Reife lassen sich so eher erwerben denn als saturierter Bürger, niedergelassen mit Wein ,Weib und Gesang.
: Auch Niccolo verdankt den größten Teil seiner Persönlichkeit den Erfahrungen, die er auf seinen diversen Fahrten gesammelt hat.

: Es ist ja zunächst wirklich so, daß wir bei L. ´s Lebensgeschichte von einer Odyssee sprechen können. Die Ähnlichkeiten, ja Parallelen sind offensichtlich. Fast alle Stationen der Odyssee scheinen eine Entsprechung zu finden im turbulenten Leben unseres Helden, bzw. umgekehrt.

: Aber trotzdem kann ich mich nicht damit anfreunden. Das hat folgende Gründe.

: Die beiden Protagonisten sind bei allen Übereinstimmungen grundverschieden.
: O.: Held von Troja, Fürst von Ithaka, Vater von Telemachos, Ehemann von Penelope, (mit der Trennung als einzigem Beziehungsproblem) makelloser Stammbaum.
: Seine Sehnsucht hat einen Namen und ein Ziel

: L.: Eher berüchtigt, denn berühmt, von keinem besonderen polit. Rang, mit zweifelhafter Abstammung, kein Partner, kein Platz im Leben, kein Ziel.
: In QP sagt er das ja seinem Bruder.
: Diese zwei grundverschiedenen Männer sind also auf dem Weg nach Hause, wobei nur einer weiß, wo oder was das ist.
: Der Start war für beide gleich. Ein Krieg , "blindes Geschick" , "Götter " haben sie aus der Bahn geworfen.

: Aber bei L. läuft m.E. die Sache anders. Seine ganze weitere Geschichte, seine Prüfungen, seine Verstrickungen sind die Folgen seiner Entscheidungen.
: Ihm werden Hindernisse, Umwege und Katastrophen nicht in den Weg geworfen von irgendwelchen Göttern, sondern sind Folgen seiner sehr spezifischen Reaktionen auf die Zumutungen seiner Gegenspieler.

: Ich will versuchen zu erklären was ich meine. F.C. ist physisch ebenso gut gerüstet wie O. Aber anders als der schleppt er immer seine ganze komplizierte Biographie mit sich herum. Es besteht ja gerade nicht die Gefahr, daß er vergißt. Irgendwo sagt er ja mal, er gäbe viel darum, mal für einen Moment vergessen zu können oder so ähnlich.
: Herkunft, Erziehung ethische Maßstäbe und Bildung machen seine Persönlichkeit aus und sind gleichzeitig sein größtes Handicap.
: Seine Desaster beruhen darauf, das er nicht aus seiner ehrenhaften Haut kann.
: Warum richtet er sich in Frankreich fast zugrunde? Warum folgt er einem Kind, von dem er nichts weiß ?
: Warum heiratet er Philippa ? Warum lenkt er bewußt den Zorn seines Bruders auf sich? Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Er hätte sich garnicht wie O. durch die ganze Welt schlagen müssen. Er hat sich wirklich alles selber zuzuschreiben.
: Odysseus wäre das nicht passiert. Für ihn war die Welt einfacher strukturiert.
: Einfach mal reingehen in die Höhle des Polyphem und kucken wer da hämmert. Die Kameraden sind zwar dagegen aber dafür müssen sie auch dran glauben.
: Wie wäre Lymond wohl damit umgegangen aufgrund seiner Neugier Freunde geopfert zu haben?

: Gabriel hätte über solche Kleinigkeiten nur gelacht.
: Er ist ein mächtiger Gegner wie Polyphem. Groß, angsteinflößend, beherrschen sie die Szene durch schiere physische Präsenz. Doch Poly ist nicht sehr helle. Er ist kein wirklicher Gegner für den Listenreichen. Sobald seine Kraft ihm nicht mehr nützt, ist er wehrlos.
: Gabriel ist anders. Ich sehe ihn als das böse alter ego unseres Helden. Er ist alles was L. ist, bei einem völligem Mangel von Menschlichkeit und Moral.
: Insofern ist Polyphem für mich eher der Ringer aus Cornwall, den erst eine Zuckerdusche "angreifbar" macht.

: Ich hoffe ihr verzeiht mir die lange Epistel aber eines muß ich noch loswerden.
: Es geht um den Vergleich Güzel - Calypso.
: Für mich ist G. in erster Linie Geschäftsfrau.
: L. ist für sie so etwas wie eine Eintrittskarte , ihr Einlagekapital. Sie legt es nicht darauf an, ihn seine Herkunft, seine Geschichte vergessen zu lassen. Die macht ihn ja gerade zu dem was er ist. Erfolgeicher Kommandeur und kultivierter Partner. Sie ist zu klug um zu wissen daß sie das Eine ohne das Andere nicht haben kann.
: Lymond will soviel Entfernung zwischen sich und sein früheres Leben legen wie möglich. Also machen sie einen Deal zu beiderseitigem Vorteil. Auch er ist Geschäftsmann. Er verkauft sich und seine Leute. Qualität hat ihren Preis. Aber diesmal nur finanziell.
: Er behält weiterhin Kontakt zur Außenwelt . Alle wissen wo er ist.
: Für mich hat die russische Episode eine andere Bedeutung. Der Winter , der Schnee sind eine wunderbare Metapher für seine psychische Verfassung.
: Klar, frostig, scharf und auf das Wesentliche reduziert.
: Alle Quellen der Emotionen, der Lebendigkeit sind eingefroren. Die Episode mit den Verstorbenen ist als Metapher unglaublich treffend.
: Tote werden eingefroren und aufgestapelt . Erinnerung und Trauer, Schmerz und Emotionen sind verschoben, vereist bis zum Frühling. Es ist alles noch da, unter der Oberfläche, manchmal bestürzend nah.
: L. wußte, daß er seinen Gefühlen nicht trauen kann. Er wagt nicht P.´s Brief in G.´s Beisein zu Ende zu lesen. Als er für sie musiziert, tut er es mechanisch , wie ein Skalpell. (Großmeyer)
: Bei seiner Liebe zur Musik kann man sich vorstellen, daß er sich höllisch beherrschen mußte, um von der Musik nicht fortgetragen zu werden.

Ich gebe Dir ja in Deiner Auslegung der Güzel/Russia Episode vollkommen recht. Nur sehe ich nicht, warum das nicht auch auf einer anderen Ebene eine Bedeutung haben kann. Außer der offensichtlichen.

: Nein, ich glaube nicht, daß er hier versteckt werden soll. Er ist freiwillig in ein in jeder Hinsicht kühles Exil gegangen. Eine Art selbstverordneter Kältekammertherapie.
: Er weiß aber stets, und hört es auch von Alex, daß dieses leben nur zweite Wahl ist, zu einer Existenz , deren Sinn und Möglichkeiten er noch nicht entdeckt hat.
: Güzel kann ihm nicht mehr anbieten als er aktuell hat. Ihre Stellung ist prekär, es steht nicht in ihrer Macht seine Position zu festigen. Im Gegenteil beide wissen, daß sie über kurz oder lang einen neuen Gönner braucht.

Wie gesagt, Calypso ist im übertragenen Sinn zu sehen. Dergleichen auch das Bild vom "versteckt sein". Lymond mag sich sein Exil selbst gewählt haben, er mag oberflächlich Kontakt zur Außenwelt haben. Aber der springende Punkt ist, er nimmt innerlich nicht daran teil. Er ist schockgefrostet, half dead. Wie Du schon sagst, die Bildwelt Russlands im Bezug auf Lymond's inneren Zustand springt ins Auge (womit wir übrigens auch wieder beim icicle - Motiv wären, und parallel dazu bei dem Apollinischen in extremster Form - nur der Intellekt zählt). Dieses Motiv des half-dead, des innerlich abgenabelten wird übrigens auch grandios in der besagten Hall of Revels Szene mit den Medioxes aufgegriffen. Lymond mag oberflächlich noch so präsent sein, seine Leute wissen wo er ist. Aber innerlich ist er "in hiding", er verbirgt sich vor der "wirklichen" Welt, vor dem vollen Leben. Und dies kann ihm in diesem Moment Güzel bieten. Das ist der tiefere Sinn der Homerischen Anspielung hier. Nicht die Tatsache daß Güzel eine Geschäftsfrau und Calypso ein halbgöttliches Wesen ist. Lymond's innerer Zustand ist der entscheidende Hinweis auf die Odyssee.

: Ich hoffe ich habe Eure Geduld nicht zu arg strapaziert und Ihr könnt etwas damit anfangen.
: ( Vielleicht kann mich ja jemand überzeugen, daß ich den alten Homer doch noch mal genauer lesen sollte !)

: Bis die Tage !
: Celis

Das ist ja gerade das Schöne bei DD, man kommt erst bei längeren Debatten richtig in Fahrt!

So nun laß ich 's aber auch sein. Der Rest kommt einzeln und später.

Grüße

Birgit



Antworten:



Ihre Antwort

Name:
E-Mail:

Subject:

Text:

Optionale URL:
Link Titel:
Optionale Bild-URL:


[ Antworten ] [ Dunnettie-Forum Archiv 22 ] [ Dunnettie-Forum ]