Abgeschickt von Jenny W am 25 September, 2002 um 17:37:01:
Antwort auf: Re: the dials of the spider von Petra Cmiel am 25 September, 2002 um 10:52:03:
: Hi,
: Kathrin hat Recht. In Marzipan kamen einige Beiträge zum Vorschein, die ich beim besten Willen nicht ganz nachvollziehen konnte. Aber ein Beitrag hat mich eigentlich überzeugt: der Vergleich mit der Spinne(netz), die zwei "Gesichter" haben - zum einen ist da das kunstvolle Gewebe der Netze, das wunderschön ist (Lockmittel), und zum anderen ist dieses Wunderwerk ja dazu da, Beute zu fangen. Das fand ich schon interessant. Da ich außerdem bemerkt habe, das "art" nicht nur Kunst/Können/Kunstgriff sondern auch List bedeuten kann, habe ich das so in Kap. 20 eingebaut. Was allerdings genau "precincts of mastery" bedeutet, habe ich nicht herausgefunden.
: Hey, Jenny, vielleicht kannst Du uns erleuchten?
: Gruß Petra C.
Liebe Petra, liebe Kathrin,
tja, das ist eine dieser Passagen, die man mit Begeisterung liewt aber lieber nicht übersetzen möchte. Ich will mal versuchen, meine Sicht der Textstelle zu schildern.
Die "precincts of mastery" verweisen, denke ich, auf die aufgelisteten Handwerksbetriebe, die an diesem Hof angesiedelt sind. Wenn man ans Handwerk im späten Mittelalter denkt, dann kommen einem die Zünfte, die Gilden, z.B. in London die Livery Companies in den Sinn. Jedes Handwerk hatte seine Geheimnisse, das wird auch im Osten nicht anders gewesen sein: die Färber ihre Rezepte, die Steinmetzen ihr Wissen um Maße und Winkel, die Goldschmiede ihre Kenntnisse von Metallmischungen und Schmelztechniken. Es dauerete viele Jahre der Lehr- und Gesellenzeit bis man Meister wurde und alle Geheimnisse des jeweiligen Handwerks beherrschte. Bei Holzschnitzern, Instrumentenbauern und anderen ging die Tätigkeit bei der Gestaltung ihrer Werke in Kunst über, die Sachen die sie produzierten waren nicht nur nützlich sondern auch schön. Für Außenstehende muss die Produktion dieses Kunsthandwerks mysteriös gewesen sein (z.B. waren die Schriftsetzer und Buchdrucker die Meister der "schwarzen Kunst"). Insofern waren die Häuser und Buden an diesem Hof mit den Erzeugnissen bekleidet (clothed), aber auch gleichzeitig war etwas Geheimnisvolles dabei: die Schönheit versteckt die solide Handarbeit, genau so wie die vor den Häusern oder Buden hängenden Handschuhe, Schnitzereien, Gold- und Kupferobjekte die genauen Umrisse der Gebäuden etwas verstecken. In gleicher Art hat ein Spinnennetz einen normalen alltäglichen Zweck (für die Spinne), ist aber gleichzeitig schönes vollkommenes Kunst"hand"werk. Und Spinnennetze, wenn sie z.B.vor einem Gebäude hängen, können die genauen Umrisse verschleiern.
Bei "the dials of the spider" muss ich sofort an meine Armbanduhr denken. Das runde Zifferblatt trägt das Bild eines Spinnennetzes, dessen Mitte etwas schräg unterhalb der Mitte der Uhr liegt. Die "Spitzen" am Rand, wo die Längsschnüre des Netzes enden, markieren die Stunden, und die Spinne, die am Ende des sonst unsichtbaren Sekundenzeigers hockt, wandert in einer Minute rund um ihr Netz. Leute, die die Uhr nicht kennen und nichtsahnend neben mir sitzen, sind schon beim Anblick der Spinne ziemlich erschrocken. Das ist ein wunderbares Beispiel von "the dial(s) of the spider": das Netz sieht aus, oder in diesem Fall ist das Zifferblatt einer Uhr, man sieht die Schönheit des Bildes, ohne das innere Werk zu sehen, das dahinter steckt und ihre "Kunst" vollzieht.
So vielschichtig ist das Bild und wie immer wundert man sich, dass die Autorin, die mit ihrem Held gerade zum ersten Mal das "Royal Seraglio" betritt, für eine solche Beschreibung sich trotzdem Zeit nimmt. Einerseits zeigt sie damit die Pracht und das Reichtum dieses Hofes - diese Kunsthandwerker sind hier alle des Hofes wegen angesiedelt. Andererseits betont sie damit die Vielschichtigkeit dieser Gesellschaft: hinter den Dingen, die man sehen kann, liegt noch viel mehr, und manches davon ist geheimnisvoll und kann nur wie durch einen Schleier erahnt werden.
Grüße
Jenny W