Abgeschickt von Celis am 21 Juni, 2007 um 12:21:50
Antwort auf: Amiens, Feuer, Migräne und Selbstmorde, RC + CM, Spoiler von Lara am 30 Mai, 2007 um 01:11:27:
: Hallo erstmal an alle vom Forenneuling!
: Eigentlich bin ich ja nicht gerade eine neue Lymond-Leserin, aber irgendwie habe ich gerade mal wieder meine Lymonds in die Hand genommen, gerade mitten in den Niccolo-Neuauflagen-Gesprächen. Sorry fürs Unterbrechen. Und Sorry für den langen Beitrag, aber ich konnte mich leider noch nie kurz fassen... :-( Aber irgendwie habe ich mich folgendes gefragt und komme zu keiner befriedigenden Antwort:
: Was eigentlich hat sich geändert bei Lymond nach Amiens (Selbstmordversuch mit drauffolgendem Bettanzünden von Sybilla), daß die Migräne incl. Blindheit verschwunden ist?
: 1. Eigentlich ist ja alles gleich geblieben: Philippa hat er nicht und glaubt auch nicht, sie zu kriegen. Seine Abstammung hat er auch nicht geklärt. Er hat also Grund, genauso unglücklich zu sein, wie vorher.
: 2. Er sagt, daß die Blindheit eventuell durch die neue Gehirnerschütterung verschwunden wäre. Daß wäre ja das erste Mal, daß eine Gehirnerschütterung durch ne andere kuriert wurde. Oder spielt er darauf an, daß es jetzt erst richtig behandelt wurde?
: 3. Die Kopfschmerzen kreuzen ja meist zusammen mit Philippa auf. In Sevigny sind sie weg. Kommen dann aber heftig wieder, als er abfährt. Sollten sie also von nervlicher Anspannung herrühren, warum sind sie dann in Sevigny weg, wo doch dank der merkwürdigen Situation mit Philippa er extrem unter Spannung steht.
: 4. Andererseits bekommt er in Sevigny die Gelegenheit, seine Liebe zumindest in einer Weise auszudrücken, also kein komplettes Unterdrücken der Gefühle. Nach Amiens und dem brennenden Bett ist er aber auch nicht gerade offener geworden.
: 5. Das einzige, was mir so scheint, daß er es verloren hat (er redet ja was von kein ganzer Mann mehr und daß er was verloren hat), ist, daß er nicht mehr komplett über sich selbst bestimmen kann wegen des Versprechens an Sybilla. Sowie Ehrgeiz in Kombination mit etwas Lebenswillen. Das erklärt für mich aber nicht, warum die Kopfschmerzen verschwinden.
: Das macht mich zusammen mit dem ständigen Wörter-Nachschlagen zum PiF-Lesen wahnsinnig! Ich hoffe auf Inspiration.
: Leider ist es mir ja auch nie gelungen, irgendeine meiner Freundinnen zum Dunnett-Lesen zu überreden. Sie hassen es.
: Viele Grüße
: Lara
Liebe Lara, herzlich willkommen.
Ich will mal versuchen, zu Deiner Inspiration beizutragen.
Die Frage nach der `Wunderheilung`ist in der Tat interessant und es gibt wahrscheinlich verschiedenste Sichtweisen dazu. Hier mein Versuch:
Wenn wir von Lymond als UHH (unserem hysterischen Helden)
sprechen, kommen wir der Sache schon näher.
Hysterie ist ein lange bekanntes Krankheitsbild, daß jedoch lange Zeit nur bei Frauen erkannt wurde und dementsprechend negativ besetzt war.(gynäkologisch verursachtes Nervenleiden)
.Freud definierte als einer der Ersten, daß die hysterischen Symptome zurückgehen auf die Verdrängung psychischer Konflikte die zurückgehen können bis in die orale Phase.(!)
Heute spricht man jedoch statt von Hysterie von dissoziativen Störungen oder Konversionsstörungen.
Konversionsstörungen bedeuten nichts anderes, als daß der Patient auf massive psychische Konflikte reagiert, indem er z.b.die Funktion seiner Sinnesorgane verliert, oder andere somatische Störungen ausbildet, die keinerlei organische Grundlage haben.
Diese `hysterische`Symptomatik kann z.B. einen Hirntumor imitieren.
Wobei die Symptome häufig bei ungelösten interpersonalen Konflikten und traumatisch empfundenen, unverarbeiteten Erlebnissen entstehen und sich symbolhaft auf die zugrundeliegende Störung beziehen.
Behandelt wird dies z.b. durch konfliktzentrierte Therapien, (der Patient wird gezwungen, sich mit seinem Problem auseinanderzusetzen, es anzusprechen) Viele Kliniken bieten hier sportliche Aktivitäten als Begleittherapie an.
Fazit: Das Problem ist klar, aber wer gibt schon gerne zu, daß er einen psychischen Knacks hat ?
Eine Gehirnerschütterung ist da schon eine gesichtswahrendere Variante.
Ist er mit P. zusammen, und muß sich ganz auf sie und ihre Bedürfnisse konzentrieren, bei gleichzeitigem körperlichen Abreagieren, läuft es einigermaßen.
Mutter Sybilla, der nichts Menschliches fremd ist, ihren Sohn besser kennt als alle Anderen und sicher auch mit diversen hysterischen Verhaltensmustern vertraut war, kannte als Einzige die Therapie und hatte den Mut sie einzusetzen.
Es ist wahnsinnig interessant, sich mit diesem Krankheitsbild einmal zu beschäftigen und zu sehen, wieviele Parallelen hier bestehen.
Kleine Kostprobe :
(Bitte finden sie jeweils mindestens zwei Beispiele ;-) !
unvollständige Symbioseablösung in früher Kindheit und Jugend,
nicht konstruktiv verarbeitete Trennungen,
Selbstinszenierungen, demonstrative Selbstmordversuche Nervenzusammenbrüche, theatralisches Verhalten, Verdrängungstendenzen, Neigung zu dramatischen Auftritten,sexuell verführerisches und provozierendes Auftreten, großer Aufwand für Kleidung Schmuck etc.,
blumiger Sprachstil,usw.
eindrucksvolle Selbst und Fremddarstellung, unterhaltsam aber anstrengend.
Diese Symptome stehen so eindeutig für Lymond, als hätte Dunnett sie als Vorlage abgearbeitet.
Natürlich ist dieses Krankheitsbild viel komplexer und nicht alles stimmt lehrbuchmäßig überein, es gibt auch Diskrepanzen, besonders was die Persönlichkeitsstruktur bettrifft., denn L. ist sicherlich kein ichschwacher leicht beeinflußbarer Mensch. Aber insgesamt läßt sich die Theorie einer neurotischen Störung dieser Art aufrechterhalten.
Sybilla hat ihn mit diesem Muster konfrontiert, sie hat ihm die Möglichkeit des Verdrängens genommen, ihm seine Fluchtmöglichkeiten abgeschnitten und und ihn so gezwungen sich dem Verdrängten zu stellen. Deswegen `brauchte´er auch die Kopfschmerzen und die Blindheit nicht mehr.
Das macht Lymond für mich so faszinierend, daß er so vielschichtig, auch durchaus defizitär und abgründig ist ,daß er versucht allein aus Willenskraft zu existieren und ihm seine Emotionen immer einen Strich durch die Rechnung machen.
Ich weiß nicht ob es vielleicht zu weit hergeholt ist, aber schon früher als in der Bundesrepublik wurde in England bereits nach dem 2. Weltkrieg die Frage nach der Behandlung psychischer Erkrankungen gestellt. Es ging um gemeindenahe Psychiatrie und niederschwellige Therapien. Zur Entstehungszeit der LC´s sind diese Fragen also virulent gewesen und man kann davon ausgehen, daß auch Dunnett diese Diskussion bekannt war.
Ich hoffe, du kannst mit alldem etwas anfangen.
Ich weiß nicht unter welche Klassifikation meine Störung fällt, bei diesem Thema kann ich nie wiederstehen, noch mich kurzfassen.
Vielleicht fällt uns in Darmstadt dazu was ein.
Liebe Grüße
Celis