Steht hinter Ly Montaigne?


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Abgeschickt von Saskia am 30 Juni, 2002 um 00:45:09

Hallo Martine,

Danke!

Ich war nämlich unsicher, woran ich bin. Mir ist nie ganz klar, auf welche Fragen du/ihr antworten werdet, wenn ihr Zeit dazu findet.
Mal etwas Persönlicheres zu lesen tut gut und bestärkt.

Ich frage mich, ob es nicht in besonderem Maße eine Persönlichkeit der Renaissance gibt, deren Gedankengut das geistige Rüstzeug für Ly sein könnte.

Und so hab` ich mal wieder bei Montaigne reingeschaut.

Ich war ganz baff.
Wichtig ist das Verhältnis von Subjektivität und äußerer Welt. Es bestehe zwischen Privatleben und den Verpfichtungen gegenüber der Gesellschaft ein Dualismus. Der einzelne müsse abwägen zwischen dem Nützlichen(Staatsraison) und dem Rechten. Das rechtfertige auch den Ungehorsam. Das Denken, das sich auf den privaten Wissenserwerb außerhalb anerkannter Glaubenssätze gründe und das Ausdruck der eigenen Sensibilität sei, bereite die mögliche Verweigerung gegenüber der tradierten Autorität vor.Formal respektiert er das Gesetz, wenn es der Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens dient. Richtschnur ist für ihn der Erfolg im Austausch der Beziehungen. Dabei ist ihm das Mitgefühl und die Barmherzigkeit die Basis des Miteinanders. Die Person des Königs hat für ihn nichts Heiliges."Meine Vernunft ist nicht dazu geschaffen, sich vor ihnen zu beugen, das sind nur meine Knie."

Was den Glauben angeht, so lässt er den Glaubensrichtungen freien Spielraum, reduziert ihre Autorität auf die bloße soziale Nützlichkeit. Er duldet als Autorität nur die eigene Urteilskraft, die sich allerdings ihrer Unzulänglichkeit bewusst ist. Dabei musste ich an etliche Äußerungen in DK denken.

Oder die Maskerade in QP.Das Spiel mit Sein und Schein.
Der einzelne bediene sich des allgemeinen Repertoires "der possenhaften Verrichtungen". Aber auch die Maske müsse letztendlich der Forderung nach Wahrhaftigkeit genügen.

Und zu den vielen Zitaten: Er wolle das geeignetste Zitat für den Gedanken finden, den er ausdrücken möchte. Dabei modifiziere er auch die Aussage bisweilen. Die Anleihe sei nur ein Ornament. Dabei dachte ich an GoK, als der Mann von Kate froh ist ,als Ly endlich ohne Umschweife spricht.

Und die Liebe:die Liebe gilt ihm als freie Übereinkunft, als Ausdruck der Harmonie von Körper und Seele.Er lehnt ihre Verdinglichung ab. Er spricht in der Sprache des Handels:Markt, Ware... Dabei dachte ich an die Stelle in QP, wo Ly davon spricht, dass sein Bett kein Marktplatz sei.
Es ist für ihn aber auch der Austausch von Lust (Parallele zu Nc in seiner Jugend?).
Oder als Zerstreuung nach einem Schicksalsschlag (auch wieder ein Verbindung zu Nc, als er vom Tod seiner Frau erfährt?).


Auf der anderen Seite: Wieviel gibt Ly von sich preis in den Zitaten? Gibt er codierte Zeichen, aus denen wir seine Empfindungen rekonstruieren müssen, Zeichen, die selbst
für seine Umwelt fremd sind? Selten nur sind es gesellschaftlich tradierte Codierungen. Mir fällt da nur das Zeichen des Handschuhs ein, das wiederholt auftaucht.
Daran knüpft sich meine Überlegung, ob es in jedem Buch "personnages" gibt, die mehr oder weniger den Leser verkörpern, der sich als "Normalo" der Gesellschaft dieser komplexen Persönlichkeit zu nähern versucht (Jerott, der ja auch dazulernt).

Zum Ende der Ly-Geschichte: Kommt er da etwa in der Moderne an? Ich fand nämlich bei Michel Leiris Folgendes, was das Wertvollste der Moderne ausmache: "Einen Himmel in Bodennähe finden, einem in voller Klarheit erlebten Augenblick den Wert von Ewigkeit beilegen,das sind die manchmal vom modernen Dämon der Negation vergönnten Freuden für den, der sich weigert, sich ein X für ein U vormachen zu lassen und nurmehr auf die Gegenwart zählt - das Direkte, das Unmittelbare, das Erinnerungs- und Erwartungslose - und der Erfüllung nur noch in dem finden kann, was ihm, jenseits aller Vernünftelei wie jedes Projektes, von vornherein die blitzartige Empfindung seiner Präsenz aufdrängt."
Das würde auch über die Zahrhunderte hinweg mit dem zu Montaignes Zeiten kollektiven Bewusstsein harmonieren,
weder die fernere historische Zukunft im Blick zu haben noch ein konkretes auf die Zukunft gerichtetes Handeln in Angriff zu nehmen.

Grüße

Saskia


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